Zu Ostern gibt es mal wieder ein neues Interview aus der „15 Fragen an“ Reihe. Zu Gast ist diesmal Vladi aka Merzmensch. Er ist uns als Spieler und Puppetmaster aus vielen ARGs bekannt. In seinem Blog https://merzmensch.blogspot.com/ berichtet er auch immer aktuell davon. Nun möchten wir ihn mal mit unseren Fragen durchleuchten. Was dabei herausgekommen ist, könnt Ihr in seinen 15 Antworten nachlesen.
1) Wie und wann bist Du mit ARGs in Berührung gekommen?
Das erste mal bin ich mit ARG im Jahre 2007 in Berührung gekommen. Damals bin ich auf die virale Kampagne um den Film „Cloverfield“ gestoßen. Dabei war dies eher nicht ein „ARG“, sondern ein „ARE“ (Experience), weil die Spieler kaum Einfluss auf das Geschehen hatten. Dafür war die Interaktion mit Charakteren sehr spannend gestaltet. Diese Interaktion hat mich sofort in ihre Bahn gezogen. So bin ich zu Unfiction gekommen. Und danach zu Patmo-Foren.
2) Hast Du auch an einem ARG als Spieler teilgenommen? Wenn ja, an welchem?
Ich nehme seitdem an zahlreichen ARGs als Spieler teil. Ich habe in meinem Blog, den ich dem Thema ARG widme, eine ARG-Review für das vorletzte Jahr gestartet. Alles in allem habe ich bis jetzt an ca. 20 ARGs als aktiver Spieler teilgenommen. Vor allem möchte ich folgenden ARGs erwähnen, die mich fasziniert haben: Cloverfield, The Conspiracy 08, Final Mill (Van Velsenmeer Foundation), Join the pirates und Star Trek ARG.
3) Bei welchem ARG warst Du Puppetmaster/ BHTS (behind the scenes; hinter dem Vorhang) und was war deine Aufgabe dabei?
Nachdem ein sehr spannendes ARG, das ich gespielt hatte (V.I.T.D. = Vengeance Is Their Duty), leider platzte, habe eine Hommage an dieses ARG gemacht. Ich startete mein ARG „Hans Altmann – Looking for a Hideout“ und führte es bis zum bitteren (aber eigentlich glücklichen) Ende. Diese neue Perspektive auf die Alternative Realitäten hat mich sehr beeindruckt: ich habe erkannt, dass nicht nur das Spielen an sich interessant ist. Das Schreiben der Geschichte und die Interaktion mit Spielern als Puppetmaster war ebenso ein einmaliges Erlebnis.
Danach habe ich noch an zwei ARGs aktiv als PM bzw. BHTS teilgenommen. Bei „Eklipse Global“ übernahm ich den Part des japanischen Professors KUROMORI Toshio und drehte seine Filme inklusive Videoantworten auf die Beiträge der Spieler zum Wettbewerb auf https://eklipseglobal.wordpress.com/. Ebenso habe ich eine etwas ungewöhnliche Rolle meiner Selbst gespielt, als ein ARG Spieler namens Merzmensch, der am Ende der Geschichte von einem Monster gefressen wird.
Dieses ARG wurde von einem von mir hoch geschätzten, aber gleichzeitig völlig unbekannten Puppetmaster geführt (er hat u.a. The Conspiracy 08 und V.I.T.D. geschrieben und ausgeführt). Auch wenn ich mit ihm monatelang im Kontakt blieb, konnte ich nur rausfinden, dass er aus Texas stammt. Später habe ich an seinem zweiten ARG „Soviet Star“ aka „Psychosis-trio“ teilgenommen (doch eher am Rande, da ich nicht so viel Zeit hatte).
4) Welches ARG ist aus deiner Sicht bisher das Beste gewesen? Und Warum?
Das bereits erwähnte ARG „The Conspiracy 08“ hat mich vor allem beeidruckt. Es war ein Grassroot (kein kommerzielles, sondern eher privat geführtes ARG). Alle Charaktere waren sehr verschieden und lebendig (auch wenn sie nur von einem PM in Chats und Emails gespielt wurden). Auch die Verschmelzung der Fiktion und Realität war sehr gelungen: anfangs war es ein Spiel über Verschwörungen, das explizit in Texas am Campus von A&M für die Studenten dieser Universität gedacht war. Dann jedoch platze das Spiel, da einige Studenten das Ganze für bare Münze nahmen und sogar Polizei-Einsätze involviert waren. Der Puppetmaster hat sich vor uns entschuldigt, dass das Spiel so plötzlich abgebrochen werden soll. Danach jedoch kontaktierte uns ein Freund eines Spielers, der dieses ARG spielte und dann plötzlich verschwand. So fing die eigentliche Geschichte an, in der die Wirklichkeit und Fiktion auf gelungene Weise verschachtelt waren.
5) Was war für Dich die lustigste/ amüsanteste Situation während eines ARGs, egal ob als PM oder als Spieler?
Jede Interaktion mit Charakteren bleibt in Erinnerung. Ich kann nur einige Momente aufzählen, die mich emotional berührten (sowohl positiv als auch negativ)
- Cloverfield: HUD, der Kameramann aus dem Film, hat auf MySpace zusammen mit mehreren Freunden eine interaktive Comic-Geschichte geschrieben. Ich war sehr begeistert, als er meine „künstlerischen“ Beiträge annahm – das war ein wundervolles Gefühl, von einer fiktiven Figur akzeptiert zu werden. (s. den Beitrag, meine Figur hieß „Endoman“)
- “The Conspiracy 08”: es gab eine sympathische japanische Office Lady, die zum Spaß ins Büro eine Wasserpistole mitnahm. Doch eines Tages wurde ihr Office von schwerbewaffneten Einsatztruppen überfallen. Sie saß unter dem Tisch mit ihrer nichtigen Wasserpistole und chattete mit mir, weil ich die einzige Person war, die mit ihr zu dem Zeitpunkt in Kontakt stand. Während ich versuchte, ihr Tipps zu geben (mit großer Hilfe der Spieler in Forum, aus dem Gebäude zu verschwinden, wurde sie eliminiert. Diesen virtuellen Live-Event werde ich wohl nie vergessen… (s. komplettes Script unserer letzten Unterhaltung)
- „Join the Pirates“ – das war mein erster Liveevent. Ich musste zusammen mit anderen Freunden und Mitspielern eine DVD mit wichtigen Daten aus den Händen einer kaltblutigen Killerin „retten“. Als ich nicht mehr wusste, was zu tun wäre, schnappte ich mir in einem Blackout-Zustand die ganze Tasche dieser Killerin und suchte im Versteck nach der DVD. Dann fand ich privaten Sachen der Schauspielerin, war von meinen Taten angeekelt und brachte die Tasche zurück. Ich habe zwar diesen Live-Event auf eine unkonventionelle Art und Weise behandelt, aber das nächste mal werde ich wieder gerne daran teilnehmen. Nur bitte keine Entführungsaufgaben mehr für mich J (Hier der komplette Bericht zu diesem Live-Event)
- Final Mill. Die Geschichte war sehr schön geschrieben, aber vor allem habe ich mich auf eine Figur gefreut, die auch später in „Join the Pirates“ erwähnt wurde: Pawel Tchelawekmarta. Der Nachname war eigentlich ins Russische übersetzte „Merzmensch“. Und die Interaktionen mit dieser Figur waren daher für mich mit einer persönlichen Meta-Note versehen
Alles in allem, haben mich besonders die Momente berührt, als die Charaktere nicht leblos und geschrieben wirkten, sondern mit mir direkt interagierten.
Achja, nachdem Conspiracy 08 als mein erstes zu Ende geführtes ARG abgeschlossen war (Cloverfield war leider auf seltsame Art und Weise abgebrochen), fühlte ich eine Art Euphorie, da ich, zusammen mit duzenden mir unbekannten Mitspielern, an einer gemeinsamen Geschichte aktiv teilnehmen und alle Rätsel lösen konnte. Das Gefühl der erfolgreichen kreativen Mitarbeit hat mir eingeflüstert: mein Alter Ego gehört in Alternate Reality.
6) Erinnerst Du Dich an eine Situation aus einem ARG, die Du lieber aus deinem Gedächnis streichen würdest?
Manchmal, am Anfang eines ARGs überfällt mich Zweifel, ob es überhaupt ein ARG ist (wenn sich die Geschehnisse ziemlich realistisch und ohne jegliche mystische Nuance entwickeln). Und jede Enthüllungen über das Nicht-ARG-Sein ist natürlich frustrierend. Manchmal sogar beängstigend und befremdend. Wie beispielweise die seltsame Geschichte um Goldman Detectives, wo man langsam erkannte, dass es eine Art ARG-Veräppelung ist.
Eine andere Geschichte, bei der ich z.Z. nicht genau weiß, ob es ein ARG oder Realität ist, war mein Chat mit einer ganz zufälligen Person, die angeblich (oder vielleicht doch nicht angeblich) Erinnerungsstörungen hatte. Das Gespräch an sich verlief sehr unter dem Zeichen von ARG, aber gleichzeitig überkam mich der Zweifel, da dieser Kontakt auf eine äußerst zufällige Art und Weise zustande gekommen ist. Nun versuchte ich rauszufinden, ob es ein Rabbit Hole war, oder ob ich mit einem Hilfebedürftigen gesprochen habe. Denn der zweite Fall hätte mir bestimmt einige Gewissensbisse bereitet, auch wenn mein Chat mit dieser Person auf sie therapeutisch positiv auszuwirken schien.
7) Wie erklärst / beschreibst Du deiner Familie/ Verwandten und Freunden den Begriff ARG und wie reagieren sie darauf?
Ich erkläre ARG als interaktive Kunstart, als eine erweiterte Form der Literatur, an der man sich als ein aktiver Rezipient beteiligen kann. Die Figuren sind dabei normalerweise völlig kontaktfreudig, und der Plot kann man unter Umständen veränden. Vor allem erwähne ich immer die Cross-Media-Vorteile von solchen Projekten: dadurch werden die guten ARGs zu einem Gesamtkunstwerk (ich habe zu der Idee des Gesamtkunstwerks eine ganz persönliche Bindung, da ich über Kurt Schwitters, der multimediale Gesamtkunstwerke schuf, meine Doktorarbeit schreibe). Es gehe nicht bloß um den Konsum des Entertainments, sondern um eine rege Teilnahme. Und nachdem ich es auf diese Art und Weise erklärt habe, verstehen meine Gesprächspartner nicht nur mein Enthusiasmus bezüglich ARGs, sondern fragen oft selbst nach den Teilnahmemöglichkeiten.
8) Welche drei Dinge sind auf jeden Fall notwendig um ein gutes ARG auszumachen?
- Guter Plot/Geschichte
- Gut durchdachte Interaktionen
- PMs sollten flexibel sein, und auch bereit sein, die Geschichte zu verändern, wenn die Interaktion mit Spielern es erfordert.
9) Hast Du einen Lieblingscharakter aus einem ARG?
- Tanaka Yori aus „The Conspiracy 08“
- Geoff Greatbatch aus “Star Trek ARG” (er wurde sehr sympathisch konzipiert, vor allem hat er nicht bloß die Geschichte weitergetragen, sondern auch sehr persönlich kommuniziert.)
- Mehrere charismatische Figuren aus Join the Pirates
10) Arbeitest Du gerade an etwas Neuem? (wenn Du es sagen möchtest/ darfst?)
Ich habe vor, eine neue Geschichte zu starten, kann aber dazu nicht so viel sagen. Nicht nur wegen der Puppermaster-Geheimnistuerei, sondern auch weil noch nichts so richtig konzipiert ist. Daher weiß ich nicht, wann ich damit publik werde – diesen Sommer oder nächstes Jahr. Wenn überhaupt.
11) Welches Rätsel/ Puzzle aus einem ARG findest Du als besonders gelungen und hattest Spaß dabei? Kannst Du uns auch sagen warum?
Ich mag Puzzles, die man alleine nicht imstande ist, zu lösen. Glücklicherweise gibt es sehr viele solche Rätsel in den gegenwärtigen ARGs, so dass ich sie nicht alle aufzählen möchte. Vor allem ist aber das Spannendste, die Mitspieler zu Rate zu ziehen, und jede/r Mitspieler/in bringt die eigenen Fähigkeiten rein. Conspiracy 08 hatte viele solche Rätsel, die man teilweise nur zusammen lösen konnte, weil jeder Mitspieler ein Teil des Rätsels erhalten hat. Dieses Rätsel war nur dann lösbar, wenn alle beteiligten all ihre Kenntnisse zusammen bringen.
12) Hast Du etwas wie ein Motto/ Leitgedanken während Du eine ARG organisierst und spielen lässt?
Gebe den Spielern Freiheit, dann werden sie den Regeln deines Spiels folgen.
13) Wolltest Du schon mal in irgendeiner Situation alles hinwerfen und aufgeben? Was ist passiert?
Als Spieler: es gab manchmal einige Sackgassen, dabei haben die PMs nicht immer geholfen und immer nur gewartet, bis wir es schaffen. Das hat die Motivation nicht gerade aufgebaut.
Als PM: leider habe ich noch nicht so viel Erfahrungen als PMs, und meine bisherigen Erfahrungen waren eigentlich allesamt positiv. Vielleicht nur: man soll die Spieler nicht unterschätzen. Die Zusammenarbeit ist meistens von solcher überraschenden Intensität, so dass einige Rätsel, die Du speziell mit hohem Schwierigkeitsgrad entwirfst, um etwas Zeit zu gewinnen, in der Gruppe innerhalb weniger Stunden gelöst werden. Natürlich, so soll es eigentlich mit ARGs funktionieren. Daher: benutze nie komplexe Rätsel, um die Zeit zu gewinnen (während Du beispielweise an weiterer Plotentwicklung arbeitest). Das kann nur zur allgemeinen Meta-Frust führen.
14) Gab es für Dich ein Ding, das Dir etwas bedeutet hat und Du nicht weggeben wolltest, aber Du weggeben musstest, da es der IG- Charakter weggeben musste?
Bis jetzt war ich sehr froh, als ein Charakter an die Spieler etwas zu schicken oder wegzugeben. Aber ich schließe es nicht aus, irgendwann sich von etwas wichtigem trennen zu müssen, der Geschichte zugute. Ich denke, „Swag“ (oder Beute) ist als eine materielle Erscheinung einer Alternativen Realität immer sehr produktiv. Jeder Spieler freut sich, wenn er ein Päckchen mit weiteren Hinweisen erhält. Das ist eher Extra, aber man darf es als ein Puppetmaster nicht unterschätzen.
15) Wie sieht deiner Ansicht nach die Zukunft der ARGs aus?
Ich denke, ARG wird sich langsam vom Netz in die Gesellschaft verlagern (wenn man heutzutage dazwischen eine Grenze zu ziehen vermag). Der Stereotyp der Virtualität von ARG ist ja auch mittlerweile verdrängt worden – nach den medienpräsenten Live-Events bei The Lost Ring, Dark Knight und anderen prominenten ARGs.
Vielen Dank Vladi, dass Du Dir die Zeit genommen hast und unsere Fragen beantwortet hast. Wir würden uns freuen, wenn es bald wieder ein neues ARG von/mit Dir geben würde.